Samstag, 4. Oktober 2014

Tränen der Seelen - Leseprobe

Kapitel 1

Ich bin Lisy und ich war damals fünf Jahre alt. Mein Vater hat eine neue Arbeit in Köln gefunden und wir mussten umziehen. Das bedeutete für mich, dass ich alle meine Freunde verlieren würde. Meine ältere Schwester Melanie musste sogar ihren Freund in Saarlouis zurücklassen. Sie wollte in Zukunft eine Fernbeziehung mit ihm führen. Das bedeutete wohl, dass sie mit Sebastian nur noch übers Telefon, Internet und Briefe Kontakt haben würde. Diese Beziehung war doch zum Scheitern verurteilt. Es würde sowieso nicht funktionieren, aber für Melanie war das die letzte Hoffnung, ihren Freund nicht ganz zu verlieren. Freundschaft war schon kompliziert. Wie schwer musste Liebe wohl sein? Irgendwann würde ich es am eigenen Leibe erfahren. Ich hatte zwar mit vielen Jungs gespielt, aber es war natürlich keine Liebe im Spiel, nur Sandkastenfreundschaften.
Nun saßen wir im Zug und fuhren nach Köln. Köln war ja bekanntlich eine große Stadt, nicht vergleichbar mit Saarlouis. Ich würde bestimmt viele neue Freunde finden. Zum Glück war ich sehr freundlich, aufgeschlossen und höflich und schloss immer sehr schnell Freundschaften. Vielleicht würde es mir in Köln ja sogar gefallen. Papa würde mehr Geld verdienen und ich würde mehr Spielzeug bekommen. Möglicherweise würde er mir sogar diese teure Puppe mit glänzenden, austauschbaren Haaren, vielen Perücken, einem Schminke-Koffer, einem Kleiderschrank, 100 Ballkleidern, 100 Paar Schuhen, zwei kleinen Kindern, einem kuscheligen Teddybär, austauschbaren Kontaktlinsen und vielem sonstigen Zubehör schenken. Ich träumte schon so lange von dieser Puppe. Sie hieß Mary und ich würde sie einfach May nennen. In Köln würden sich bestimmt viele Dinge verändern. Wir würden in ein großes Eigenhaus ziehen. Früher haben wir in einer kleinen Mietwohnung gewohnt. Ich würde in Köln endlich ein Einzelzimmer haben. Es ist echt nervig gewesen, mir ein Zimmer mit Melanie teilen zu müssen. Immer, wenn ihr Freund zu Besuch war, musste ich mich irgendwie in Luft auflösen. Ich musste entweder spazieren gehen oder in einem anderen Zimmer untertauchen. Das war ja so ätzend! Außerdem hat Melanie ständig laute Musik gehört, wenn ich in Ruhe spielen oder schlafen wollte. Das war einfach unerträglich. Meine ältere Schwester hatte nie Rücksicht auf mich genommen. Sie hat immer einfach das getan, was ihr gefallen hat. Fitnessübungen, tanzen, Musik hören, fern schauen und Horrorfilme schauen. Ich konnte zwar nichts sehen, aber ich bekam schon Gänsehaut, wenn ich die unheimlichen Geräusche hörte. Manchmal konnte ich wegen diesen Geräuschen gar nicht einschlafen. Melanie schaute sogar nachts Horrorfilme. Das war echt schrecklich. Deswegen freute ich mich sehr darüber, endlich ein Einzelzimmer zu bekommen. Außerdem würde in dem großen Haus eine große Badewanne sein, in der man sehr gut spielen könnte. Ehrlich gesagt freute ich mich schon sehr auf Köln. Ich würde meinen Freunden Briefe schreiben und mein neues Leben genießen. Wäre es nicht cool, wenn ich alle Spielzeuge haben könnte, die ich mir wünschen würde? Ich würde ja so gerne eine kleine Prinzessin sein. Vielleicht würde mein Traum in Köln in Erfüllung gehen...
Plötzlich wurde ich unsanft aus meinen Träumen gerissen. Melanie zog mich an den Haaren.
„Lisy, wir müssen jetzt aussteigen.“, flüsterte sie. Wir sind also in Köln angekommen. Diese Stadt sah irgendwie ganz anders aus. Überall waren große Häuser. Ich war erstaunt. Natürlich stieg ich sofort mit meiner Familie aus. Wir mussten noch etwas laufen, bis wir endlich unser neues Haus erreichten.
Es sah von außen wirklich sehr schön aus. Wenn es von innen genauso schön aussehen würde, würde ich mit Sicherheit alle meine Freunde vergessen. Köln war einfach wunderbar. Wieso sollte ich irgendjemanden oder irgendetwas vermissen? Möglicherweise würde mir Papas neuer Job ein Leben im Luxus ermöglichen können. Oh ja, ich würde im Spielzeug baden!
Da sind wir auch schon hereingegangen. Das Haus sah wirklich schön aus. Es war renoviert und wirkte sehr nobel – wie ein 5-Sterne-Hotel. Ich konnte irgendwie gar nicht glauben, dass ich in Zukunft in diesem Haus wohnen würde. Die Mietwohnung in Saarlouis ist im Vergleich zu diesem Haus ein Müllcontainer gewesen – keine Frage. Ich war einfach begeistert. Mit offenem Mund betrachtete ich mein neues Haus. Ich würde ganz viele Freunde einladen können, die mich um dieses Haus beneiden würden oder hatten alle Menschen in Köln so eine tolle Unterkunft? Nein, das konnte ich mir irgendwie nicht vorstellen. Nun gehörte ich wohl endlich zu der reichen Schicht! Natürlich könnte ich das ganze Haus beschreiben, aber ich würde meine Seiten nicht so gerne für unnötige Beschreibungen verschwenden. Ich höre mich ja so an, als wäre ich eine arme Kirchenmaus. Das muss wohl an meiner alten Gewohnheit liegen. Früher hat das Motto immer: „Sparen, sparen, sparen“ gelautet. In Köln war alles anders. Trotzdem konnte ich die alten Muster nicht so schnell ablegen. Meine Eltern zeigten mir mein Zimmer. Es war wunderschön. Es war sehr groß. Wenn mein Spielzeug erst in dieses Zimmer einziehen würde, dann würde ich mich wie eine kleine Prinzessin fühlen...
„Wir packen jetzt unsere Koffer aus. Du kannst ja in der Zwischenzeit hier bleiben.“, meinte mein Vater. Nicht schon wieder! Ich wurde immer wie ein kleines Kind behandelt. Alle durften ihre Koffer auspacken außer mir! Es war ja fast so, als würde man Talent dazu brauchen, den Koffer auszupacken. Lächerlich! Ich sagte aber gar nichts dazu, da ich nicht wirklich scharf darauf war, meinen Koffer auszupacken. Ich würde lieber in meinem neuen Zimmer bleiben. Es war sehr schön eingerichtet und es gab sogar schon Möbel. Ich legte mich in mein neues, kuscheliges Kinderbett. Während alle total gestresst wirkten, genoss ich es einfach, in meinem Bett zu liegen. Ich hatte eine hervorragende Sicht aus dem Fenster. Nun, ich würde mich bestimmt sehr schnell in der neuen Stadt einleben. Meine Eltern packten ihre Koffer aus, während ich einfach aus dem Fenster schaute. Das war echt schön. Das Haus war sehr groß und mein Zimmer war oben. Deswegen konnte man die ganze Stadt sehen, wenn man aus dem Fenster schaute. Cool. Total abgefahren! Mir fehlten einfach die Worte.
Plötzlich hörte ich merkwürdige Geräusche. Stimmen, die ich nicht kannte. Meine Familie hatte eine ganz andere Stimme. Ich war sehr neugierig und folgte den Geräuschen. Die Geräusche führten mich in den Keller. Es war nur seltsam, dass niemand im Keller war. Der Keller war leer, aber ich konnte Geräusche und Stimmen wahrnehmen. Ich drehte mich um. Da sah ich eine schwarze Tür. Vielleicht kamen diese Stimmen von dort. Ich wollte die Tür öffnen, aber ich konnte nicht.
„Du bist noch zu klein. Du darfst diese Tür nicht betreten.“, hörte ich plötzlich. Das war ja wohl die Höhe! Es hieß ständig, dass ich zu klein sein würde. Ich war für alles zu klein, sogar für solche spannenden Dinge! Wer wohnte wohl hinter der Tür? Vielleicht könnten meine Eltern das ja herauszufinden. Sie waren ja bestimmt nicht zu klein. Ich rief meine Eltern. Sie kamen sofort her.
„Was ist los? Was hast du im Keller verloren?“, wollte mein Vater von mir wissen.
Ich zuckte nur mit den Achseln: „Nun, ich habe Stimmen gehört und hier ist eine Tür, die ich nicht öffnen kann.“
„Welche Tür?“, wunderte sich mein Vater. Machte er etwa Witze? Die Tür stand doch direkt vor seiner Nase. Ich zeigte mit dem Zeigefinger auf die Tür.
„Tut mir leid, ich sehe hier keine Tür.“, meinte mein Vater. War er etwa blind? Ich schaute hoffnungsvoll meine Mutter an.
„Ich sehe leider auch keine Tür, mein Schatz. Ich kann nur die kahle, graue, rissige Wand sehen.“, sprach meine Mutter. Sahen sie die Tür wirklich nicht oder wollten sie mich veräppeln? Ich rief Melanie. Sie kam sofort her und versicherte mir, dass da keine Tür stehen würde. Das konnte doch nicht sein! Wieso konnte keiner außer mir diese Tür sehen? Was war bloß hinter dieser Tür? Irgendwann würde ich alt genug sein, um diese Tür zu betreten...
Ich musste wieder in mein Zimmer gehen. Meine Familie hatte noch nicht alles ausgepackt. Ich gehorchte meinen Eltern und ging wieder in mein Zimmer. Ich setzte mich auf einen Stuhl und dachte nach. Was hatte es nur mit dieser Tür auf sich? Ich habe sie mir doch nicht eingebildet! Ich konnte immer noch diese seltsamen Stimmen hören. Niemand außer mir hörte diese Geräusche. Das war echt merkwürdig. Welche Geheimnisse versteckten sich hinter der verschlossenen Tür? Ich würde am liebsten sofort erwachsen werden, nur um endlich diese Tür öffnen zu dürfen. Ja, ich wäre sogar bereit dazu, alle meine Spielzeuge wegzuwerfen. Vielleicht waren hinter der Tür ja Spielzeuge versteckt, Berge von Spielzeugen und ich durfte nicht herein. Unsinn! Ich träumte ja schon wieder viel zu viel. Wenn dort Spielzeug versteckt wäre, wäre mir der Zutritt bestimmt nicht verwehrt gewesen. Viellicht waren dort nur langweilige Bücher. Irgendwann würde ich das erfahren. Ich hasste es, ständig warten zu müssen. Irgendwie durfte ich gar nichts machen. Meine ältere Schwester durfte alles tun und ich durfte gar nichts! Ich hasste es, ständig wie ein kleines Kind behandelt zu werden. In Köln würde sich wohl viel ändern, aber ich würde immer noch das kleine Kind bleiben. Na toll! Niemand nahm mich ernst. Nun dachte meine Familie bestimmt, dass ich nur fantasieren würde. Das machten schließlich viele Kinder in meinem Alter. Die Tür war aber da. Im Keller. Ich habe sie doch mit meinen eigenen Augen gesehen...












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