Kapitel 1
24.12.12. Es war Heiligabend. Im
Fernsehen lief irgendein dämlicher Weihnachtsfilm und im Radio waren
nur noch Weihnachtslieder zu hören. Der Duft erinnerte an leckere,
gebackene Plätzchen. Weihnachten sollte eigentlich der schönste Tag
im Jahr sein und ich habe gehofft, dass der Tag auch für mich
wunderschön sein würde. Es herrschte auf alle Fälle eine sehr
schöne Atmosphäre in der Wohnung. Ich liebte Weihnachtslieder, auch
wenn ich sie so gut wie jedes Jahr zu hören bekommen habe. Sie
hatten ihren Zauber immer noch nicht verloren und sie machten
Weihnachten einfach … zauberhaft. Ich liebte Weihnachten! An
Weihnachten sollten eigentlich Träume in Erfüllung gehen!
Weihnachten sollte eigentlich das Fest der Liebe sein. Ich kannte die
Bedeutung von Weihnachten. Meine Mutter hat mich früher jedes Jahr
damit genervt. Sie wollte, dass ich Weihnachten nicht nur wegen den
tollen Geschenken liebe. Na ja, ehrlich gesagt würde Weihnachten
ohne Geschenke gar kein richtiges Fest sein. Liebe hin oder her! Ohne
Geschenke würde Weihnachten irgendwie seinen Glanz verlieren. Das
habe ich früher immer gedacht ...
Eigentlich sollte Weihnachten so werden
wie jedes Jahr, doch in diesem Jahr war alles anders. Ich wusste nur
zu gut, dass ich in diesem Jahr auf die Geschenke verzichten müsste.
Ich war in diesem Jahr schließlich selber das Weihnachtsgeschenk.
Wortwörtlich. Das war nicht gerade sehr … erfreulich, aber ich
habe versucht, Heiligabend trotzdem zu genießen. Ohne Geschenke! Ich
habe gehofft, dass ich „wenigstens“ Liebe bekommen würde. Die
Hoffnung gab mir Kraft. Die Erinnerungen an die vorherigen
Weihnachtsfeste konnten mich ein wenig in Weihnachtsstimmung bringen.
Die Lieder und der schöne Duft der Plätzchen erinnerten mich daran.
Nun würde aber alles anders sein. Alle meine Freunde würden
bestimmt ein perfektes Weihnachtsfest haben. Ein schönes Fest mit
ihrer Familie. Geschenke. Liebe. Na ja, daran durfte ich gar nicht
denken. Wenn ich in diesem Jahr etwas gelernt habe, dann das man
immer positiv denken muss. Ich habe versucht, positiv zu denken. Ich
hatte ja noch die Hoffnung, dass bald alles besser werden würde.
Vielleicht musste ich ja nur noch ein wenig Geduld haben. Natürlich
würde dieses Weihnachtsfest nicht so schön werden können wie die
Vorherigen, aber es würde mir schon Freude bereiten, wenn ich es
überhaupt „schön“ oder sogar „zauberhaft“ nennen könnte.
Ich würde Weihnachten nur ungern als „schrecklich“ bezeichnen
wollen. Ich habe auf eine Wendung gehofft. Ein kleines
Weihnachtswunder. Es war immerhin Heiligabend. Ich wollte so viel
Spaß haben wie alle Anderen, doch das konnte ich mir natürlich
gleich abschminken. Ich musste versuchen, Heiligabend zu genießen.
Die Erinnerungen an das letzte Weihnachtsfest waren sehr schön. Ich
habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Weihnachten auch in diesem
Jahr schön werden würde. Ich würde so gerne tanzen oder singen.
Ich würde so gerne umarmt werden, doch keiner schien sich für mich
zu interessieren. Ich habe gehofft, dass es sich bald ändern würde.
Spätestens dann, wenn die Weihnachtsgeschenke ausgepackt werden
würden. Ich wollte im Mittelpunkt stehen – wenigstens ein paar
Minuten lang. Ich würde so gerne leckere Plätzchen essen und
Geschenke bekommen, doch ich wusste nur zu gut, dass ich in diesem
Jahr darauf verzichten müsste. Keine Plätzchen. Keine Geschenke.
Ich würde mich schon glücklich schätzen, wenn man sich überhaupt
um mich kümmern würde. Ich war noch voller Hoffnungen. Ich wollte
doch nur beachtet werden, mehr nicht. Es war ziemlich blöd, nur ein
Weihnachtsgeschenk zu sein. Na ja, ich habe aber versucht, es positiv
zu sehen. Geschenke sind etwas Schönes. Der Beschenkte würde sich
bestimmt freuen, wenn er mich sehen würde. Wann würden die
Geschenke denn endlich ausgepackt werden? Ich bin schon immer sehr
ungeduldig gewesen, was die Geschenke betroffen hat. Nun konnte ich
es aus einem anderen Grund kaum erwarten. Ich wollte das glückliche
Gesicht des Beschenkten sehen. Er würde bestimmt überglücklich
sein. Wenn ich schon selber kein wunderschönes Weihnachtsfest haben
könnte, dann wollte ich wenigstens jemand anderem ein schönes
Weihnachtsfest bescheren. Das würde mich irgendwie glücklich
machen. Es machte mich schon glücklich, mir das glückliche Gesicht
des Beschenkten vorzustellen. Seine strahlenden Augen. Sein Lächeln.
Dann würde ich immerhin nützlich sein. Aufmerksamkeit bekommen. Ich
war schon voller Vorfreude.
Wann würden die Geschenke endlich
ausgepackt werden? Ich bin schon immer sehr ungeduldig gewesen …
Die Familie ist vor etwa einer Stunde
in die Kirche gegangen. Ich musste mit meinen Eltern auch immer in
die Kirche gehen. Früher. Früher war ja alles anders. Früher habe
ich sehr viel Liebe bekommen, doch ich habe das nie geschätzt. Ich
habe es gehasst, in die Kirche gehen zu müssen, weil ich es
irgendwie langweilig gefunden hatte. Nun würde ich alles dafür tun,
um an Heiligabend wieder in die Kirche gehen zu können. Wirklich
alles. Es machte mich traurig, alleine in der Wohnung zu sein. Unter
dem Weihnachtsbaum. Es liefen immer noch Weihnachtslieder im Radio.
„Last Christmas“ ist früher mein Lieblingslied gewesen. Als es
im Radio lief, habe ich all meine Sorgen und Probleme vergessen
können. Ich habe vergessen können, dass nichts mehr so war, wie es
einmal war. Für einen kurzen Moment lang. Das Lied war so … schön.
„Weihnachten wird schön. Weihnachten
wird so schön wie jedes Jahr.“, hoffte ich. Ich war voller
Hoffnungen. Bald würde die Familie sicher wieder nach Hause
zurückkehren … Dann würde ich nicht mehr allein sein. Na ja, sie
würde ja wohl nicht ewig in der Kirche bleiben! Irgendwann würde
sie schon kommen, nur wann? Ich wurde immer ungeduldiger. Nur die
Hoffnung gab mir Kraft. Natürlich habe ich mir Heiligabend ganz
anders vorgestellt, aber ich hatte immer noch die Hoffnung, dass
alles besser werden würde, nachdem die Geschenke ausgepackt werden
würden. Vielleicht würde der Beschenkte ja sogar in Freudentränen
ausbrechen, wenn er das ganz besondere Geschenk auspacken würde. Ich
war schließlich etwas ganz Besonderes. Kein blödes Kleidungsstück
oder Spielzeug. Ich würde dem Beschenkten bestimmt mehr als nur ein
Lächeln ins Gesicht zaubern können. Ich würde vielleicht sogar das
ganze Fest zu etwas ganz Besonderem machen können. Der Gedanke war
schön. Ich glaubte an den Zauber von Weihnachten. Weihnachten ist
früher immer mein Lieblingsfest gewesen. Wegen den Geschenken,
versteht sich …
Nun war jedoch alles anders. In diesem
Jahr würde mich schon jede Kleinigkeit erfreuen können. Ich würde
schon in Freudentränen ausbrechen, wenn mir jemand eine schöne
Weihnachtskarte per Post schicken würde, doch wer würde das schon
machen? Keiner. Ich war nun hier. Unter dem Weihnachtsbaum. Kaum
einer wusste, dass ich hier gelandet bin. Wer würde mir schon eine
Weihnachtskarte schicken können? Niemand.
Nun, es würde bestimmt andere schöne
Dinge in diesem Jahr geben. Ich würde einige Menschen glücklich
machen können. Würde das nicht perfekt sein? Ich habe mir schon
ausgemalt, wie der Beschenkte auf mich reagieren würde. In meinem
Kopf war alles wundervoll. Zauberhaft, einfach nur zauberhaft. Würde
es auch in der Realität so wundervoll sein? Ich wusste es nicht,
noch nicht. Bald würde ich es bestimmt erfahren. Ich habe an ein
Märchen geglaubt.
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